Interview de M. Jacques Delors, membre du PS, dans "Die Zeit" du 6 juin 1997, sur les dissensions entre le nouveau gouvernement Jospin et le gouvernement allemand à propos de la monnaie unique, notamment la notion de "gouvernement économique" et le pacte de stabilité.

Prononcé le

Intervenant(s) : 

Média : Die Zeit - Presse étrangère

Texte intégral

Die Zeit : Monsieur Delors, die Euroskeptischen Sozialisten und die Eurofeindlichen Kommunisten haben in Frankreich die Parlamentsmehrheit gewonnen. Ist die gemeinsame Währung jetzt gefährdet?

Jacques Delors : Nein. Lionel Jospin hat während des Wahlkampfes klar gezeigt, daß er den Vertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion anwenden will – nichts als den Vertrag, aber den gesamten Vertrag! Natürlich haben sich in der Wahlkampagne in allen Parteien Stimmen erhoben, die den notwendigen Sanierungsmaßnahmen die Schuld an Frankreichs hoher Arbeitslosigkeit geben. Aber diese Schuldzuweisung ist falsch, und wir werden diesen Kurs auch beibehalten. Was die Kommunisten angeht, so diskutieren wir mit ihnen. Doch seien Sir beruhigt: Jospin wird als Premierminister seine Haltung nicht aufgeben, die er vor den Wahlen vertreten hat.

Zeit : Während des Wahlkampfs haben Sie sich persönlich für Jospins Europapolitik verbürgt. Glauben Sie wirklich, daß eine französische Linksregierung mit kommunistischer Beteiligung zu Europa mit einer Stimme sprechen kann?

Delors : Ich habe mich erst nach einem sehr langen Gespräch mit Lionel Jospin entschlossen, als Garant seiner Europapolitik aufzutreten. Ich bin überzeugt, daß Jospin den Willen und die Autorität hat, dafür zu sorgen, daß seine Regierung beim Thema Europa nur mit einer Stimme spricht.

Zeit : In der „cohabitation“ müssen sich Präsident Chirac und Premier Jospin die Zuständigkeit bei der Europapolitik teilen. Wie wird das funktionieren?

Delors : In den beiden vergangenen „cohabitations“ hätten Sie nicht mal ein Zigarettenpapier zwischen die Positionen des Präsidenten und des Premierministers schieben können. Wir Franzosen haben einen stark ausgeprägten Staatssinn. Wir sehen es als unsere Pflicht an, die Nation nach außen geschlossen zu vertreten.

Zeit : Jospin will dem Euro nur zustimmen, wenn einige „Bedingungen“ erfüllt sind – etwa die der Schaffung einer europäischen Wirtschaftsregierung. Viele Deutsche vermuten dahinter einen Anschlag auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank.

Delors : Die Wirtschaftsregierung ist in der Tat Jospins wichtigste Bedingung. Meine Überzeugung als ehemaliger Präsident der EU-Kommission ist, daß der gesamte Vertrag angewendet werden muß – also auch der Artikel 103. Demnach definiert der Europäische Rat der Staatsund Regierungschefs jedes Jahr die großen wirtschaftspolitischen Richtlinien, damit die nationalen Wirtschaftspolitiken koordiniert werden können. Jospin will, daß die Einzelheiten, wie dieser Artikel 103 angewendet werden soll, in einem Protokoll genau festgeschrieben werden. Dieses Protokoll wird dann dem Stabilitätspakt beigefügt. Ich betone ausdrücklich, daß ich den Stabilitätspakt für unentbehrlich halte. Auch die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank wird dadurch in keiner Weise angetastet. Übrigens hält auch der CDU-Europapolitiker Karl Lamers die Wirtschaftsregierung für eine gute Idee.

Zeit : Jospin hat den Stabilitätspakt im Wahlkampf „absurd“ genannt und gesagt, als Premier sähe er „keinen Grund, sich daran gebunden zu fühlen“.

Delors : Wenn man dem Stabilitätspakt das Protokoll hinzufügt, das ich gerade beschrieben habe, wird Geist und Buchstabe des Vertrags erfüllt. Dann haben wir in Europa eine Arbeitsgrundlage mit einer geldpolitischen Macht auf der einen Seite und einem wirtschaftspolitischen Pendant auf der anderen Seite. Nicht anders ist das in jedem Land der EU. Nehmen Sie Deutschland: Die Bundesregierung bestimmt ihre Wirtschaftspolitik in Abstimmung mit der Bundesbank. Das schränkt deren Unabhängigkeit doch nicht ein.

Zeit : Zu Jospins „Bedingungen“ gehört auch, daß Italien und Spanien unabhängig von ihren Staatsfinanzen von Anfang an zur Währungsunion gehören müssen und daß der Euro gegenüber dem Dollar nicht überbewertet sein darf.

Delors : Jeder in Frankreich wie in Deutschland hofft doch, daß die Südeuropäer von Anfang an zur Wirtschafts- und Währungsunion gehören. Natürlich müssen auch sie die Aufnahmekriterien erfüllen. Jeder in Europa will zudem, daß der Wert des Euro gegenüber dem Dollar so ist, daß es nicht mehr zu monetärem Dumping zu Lasten Europas Kommt. Auch die Deutschen wissen, daß die Dollarschwäche ihren Exporten schwer geschadet hat. Dabei ist allen bekannt, daß die Wechselkurspolitik den Bewegungen auf den Finanzmärkten unterworfen ist. Doch wir wissen auch, daß Alan Greenspan, der Präsident der US-Notenbank, regelmäßig Äußerungen macht, die den Dollarkurs zum Vorteil der Amerikaner beeinflussen.

Zeit : Nach dieser Wahl ist die europäische Sozialdemokratie an allen Regierungen in der EU beteiligt – außer in Deutschland und Spanien. Weil dadurch in Europa künftig Soziales Vorrang vor Stabilität haben könnte, fürchten immer mehr Deutsche, ihre harte Mark für einen weichen Euro aufgeben zu müssen.

Delors : Niemand wird bestreiten, daß ich ein Freund Deutschlands bin und deshalb vielleicht besser als andere deutsche Befürchtungen verstehe und respektiere. Ein weicher Euro steht nicht zur Debatte. Auch jeder Unternehmer in Frankreich würde sich weigern, den stabilen Franc gegen einen kränkelnden Euro einzutauschen. Wenn die Deutschen sich trotzdem partout selbst Angst, die Mark – das Symbol des erfolgreichen Nachkriegsdeutschlands – zu verlieren. Zur Sache selbst: Die meisten Zentralbanken in Europa bewerten ihre Goldbestände an die Europäische Zentralbank übertragen wird, wie es laut Vertrag für alle Zentralbanken der EU vorgesehen ist, wird sie das wohl zu Marktpreisen machen. Macht es da wirklich einen so entscheidenden Unterschied, wann es zur Neubewertung der deutschen Goldbestände kommt?

Zeit : Angesichts all der Ängste und Unsicherheiten – sollte die Einführung des Euro nicht besser verschoben werden?

Delors : Davor kann ich nur warnen. Die Regierungskonferenz Mitte Juni in Amsterdam wird nur bescheidene Ergebnisse bringen. Es ist deshalb absolut vital, daß wir den Terminkalender bei der Wirtschafts- und Währungsunion einhalten. Nur so kann der Aufbau Europas wieder an Dynamik gewinnen.

Zeit : Und wenn der Euro nicht Kommt ?

Delors : Das wäre ein harter Schlag für den Aufbau Europas und ein großer Sieg für alle, die sich Europa als reine Freihandelszone wünschen und die sich seiner politischen Einigung verweigern.

Zeit : Im Unterschied zur Labour Party in Großbritannien hat die französische Parti Socialiste (PS) keinen Modernisierungsprozeß hinter sich. Liberale Wirtschaftsprinzipien bleiben verpönt. Und das Versprechen von 350 000 staatlich finanzierten Arbeitsplätzen wirkt wie aus dem ideologischen Gerippe Schrank der siebziger Jahre.

Delors : Die Sozialisten sind für die Marktwirtschaft. Doch sie glauben, daß der Staat bei Bildungs- und Gesundheitswesen, Kultur, Arbeitsmarktpolitik und in anderen Bereichen eine wichtige Verantwortung hat. Was die konkrete Politik angeht: Vergessen Sie nicht, daß wir in Frankreich 600 000 Arbeitslose haben im Alter von 18 bis 25 Jahren. Die französische Gesellschaft hat die moralische Pflicht zu einer Geste gegenüber ihrer Jugend. Das Jobprogramm wird ausschließlich aus dem Topf bereits bestehender Arbeitsplatzhilfen finanziert. Die Staatskasse wird es also nicht zusätzlich belasten. Kurzum: Spannen Sie nicht den Karren vor die Ochsen, indem Sie die Sozialisten beurteilen, bevor sie Gelegenheit zum Handeln hatten. Warten Sie ab und beurteilen Sie die PS nach ihren Taten.